Fehlerkultur als Voraussetzung für eine Innovationskultur
„Man macht kaum Fortschritte,
wenn man nicht akzeptiert,
sich einer Situation auszusetzen,
in der man verwundbar ist.“
Cédrik Villani wurde von vielen belächelt und argwöhnisch betrachtet. Jetzt ist er Träger der Fields Medaille 2010, der höchsten Auszeichnung für MathematikerInnen, die nur alle 4 Jahre verliehen wird.
Pioniergeist braucht Mut für Fehler
Der Stressverstärker „Sei perfekt!“ killt jeden Innovationsgeist. Denn Neuland zu betreten bedeutet immer auch das Risiko des Scheiterns.
„Lieber auf neuen Wegen etwas stolpern,
als auf ausgetretenen Pfaden auf der Stelle zu treten.“
besagt ein chinesisches Sprichwort.
Meistens sind die Fehler des Tuns schlimmer als die Fehler des Unterlassens. Doch ersteres wird bei uns eher geduldet. Der Grundsatz von Lao Tse:
„Wir sind für das verantwortlich,
was wir tun und das, was wir nicht tun.“
wird in unser Kultur kaum gelebt. Das hat fatale Folgen. Yves Doz, Chef von INSEAD:
„Die meisten Unternehmen scheitern nicht daran,
weil sie die falschen Dinge tun sondern
weil sie die richtigen Dinge zu lange tun.“
Wenn ich dieses Phänomen orte, dann zitiere ich gerne die provokante Volksweisheit:
„Weil wir immer die Hühner fangen müssen,
kommen wir nicht zum Flicken der Löcher im Zaun.“
Achtung: Im Stress neigen wir dazu, das Naheliegende zu tun und nicht das nachhaltig Sinnvolle. Ich nenne das PePsL: Problem-erhaltende Pseudo-Lösungen. Teilweise werden es sogar Problem-erzeugende Pseudo-Lösungen.
„Wir irren vorwärts.“
Dieses Zitat von Robert Musil beschreibt, was Entdeckergeist beschreibt. Kein Kind könnte laufen lernen, wenn es nicht das Risiko des immer wieder Hinfallens in Kauf nehmen würde. Dementsprechend besagt ein irisches Sprichwort:
„Ein Mensch, der sein Leben so einrichtet,
dass er niemals auf die Schnauze fällt,
kriecht nur noch auf dem Bauch herum.“
Ist Ihnen schon aufgefallen, dass FEHLER durch Vertauschen weniger Buchstaben zu HELFER wird? Dazu Bertrand Russell:
„Wer wirklich Autorität hat,
wird sich nicht scheuen, Fehler zuzugeben.“
Ich bezeichne das Souveränität 2.0: stimmig agieren inkl. Ecken und Kanten, Fehler und Pannen. Jürgen Schäfer hat im Buch „Lob des Irrtums“ beschrieben, was es alles ohne Irrtümer nicht gäbe – von der Entdeckung Amerikas bis zur Erfindung der post-its. Doxastischer Falibilismus bezeichnet übrigens die Unabänderlichkeit der Tatsache, dass Menschen mit ihren Meinungen gelegentlich falsch liegen.
Anekdote am Rande: Kürzlich habe ich eine halbe Minute lang gedacht, mich trifft der Schlag: Ich erzähle im Zuge eines Vortrags für die Wiener Rotarier in Grinzing vom Doxastischen Fallibilismus. Der Veranstalter befragt dazu ChatGPT 3.0, Der gibt mit Rechtschreibkorrektur prompt eine Antwort, woher der Begriff Toxastischer Fallibilismus kommt. Sofort bin ich in die Falle schlechtes Gewissen getappt, weil ich seit vielen Jahren hunderte Male Doxastisch geschreiben habe. Nach den Schrecksekunden habe ich einen Lachkrampf bekommen: Habe ich doch den doxastischen Fallibilismus auf sich selbst angewandt. Als Mathematikerin ist das genau mein Humor. Nichts desto trotz habe ich auf meiner Website an 5 Stellen die Rechtschreibung korrigiert. Diese Geschichte habe ich ein halbes Jahr erzählt. Bis ein Teilnehmer Toxastischer Fallibilismus in ChatGPT 5.o eingegeben hat und die Erklärung bekommen hat, dass es doch Doxastischer Fallibilismus heißt. Ich bin auf eine Halluzination von ChatGPT 3.0 reingefallen. Daher habe ich dann gründlich recherschiert. Doxa bedeutet Meinung, Ehre und Herrlichkeit und bezeichnet in der griechischen Philosophie ein Fürwahrhalten.
Dem bekannten Zitat von Cicero und Seneca dem Älteren
„Irren ist menschlich.“
folgt der noch wichtigere 2. Satz
„Auf Irrtümern zu beharren, wäre teuflisch.“
Aus Rückschlägen lernen
In einem Punkt widerlegt die Hirnforschung Johann Wolfgang von Goethe: „Da steh‘ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“ Unser Hirn lernt immer. „Gescheitert“ trennt nur der Buchstabe „t“ von „gescheiter“. Dem im Internet kursierenden Spruch: „Niederfallen, aufstehen, Krone zurechtrücken und weitergehen.“ fehlt Wesentliches, nämlich die Reflexion, was lerne ich daraus und was mache ich ab jetzt anders, um die Erfolgschancen zu steigern. Wenn nicht wahr, so doch großartig erfunden:
Der Assistent kommt verzweifelt zu Edison: „Wieder ein Versuch, der nichts gebracht hat.“
Edison freudig: ‚Oh, wir sind wieder einen Schritt weiter, weil wir wieder etwas ausschließen können.“
Im Kultursender Ö1 war ein Beitrage, dass man in der Wissenschaft auch das Verwerfen von Thesen als wissenschaftlichen Erfolg publizieren sollte, weil es ja eine wesentliche Erkenntnis ist, wenn ein vermuteter Effekt NICHT nachweisbar ist.
Gamification zur Förderung der Lern- und Weiterentwicklungsbereitschaft
Warum sind (Computer-)Spiele so faszinierend, dass sie sogar Suchtpotential haben? Und die noch spannendere Frage: Wie kann man Einsatzbereitschaft, Ausdauer und Zielstrebigkeit für Spiele auch für die Businesswelt zu erschließen? Einerseits charakterisieren Spiele klare Ziele und Regeln. Andererseits spornt uns zeitnahe Rückmeldung des Spielstands zu höheren Leistungen an. Außerdem bieten sie meist die Möglichkeit, den next level zu erreichen. So können wir einfach beginnen und erfahren Erfolgserlebnisse. Durch Steigerung des Schwierigkeitsgrades bleibt das Spiel herausfordernd und damit spannend. Bei Spielen sind wir es gewohnt, dass wir das Nichterreichen von Zielen als Anreiz sehen, weiterzuspielen bis wir es schaffen.
Umgang mit Nichtwissen und Kritik
Wer hat nicht schon diese Erfahrung gemacht, die Bertrand Russell auf den Punkt bringt:
„Es ist ein Jammer, dass die Dummköpfe so selbstsicher
und die Klugen so voller Zweifel sind.“
Wissenschaftlich heißt dies Dunning-Kruger-Effekt: Inkompetente Menschen sind auch inkompetent ihre Inkompetenz zu erkennen und die Kompetenz anderer zu erkennen. Denn zum Erkennen eigener Unfähigkeiten braucht es bereits Fähigkeiten. Das entspricht der Philosophie von Sokrates:
„Ich weiß, dass ich nicht weiß.
Viele wissen nicht einmal das.“
Neben der Reflexionsfähigkeit ist daher die Kompetenz Kritik anzunehmen von zentraler Bedeutung. Der spanische Philosoph José Ortega y Gasset:
„Die Idee braucht die Kritik wie die Lunge den Sauerstoff.“
Tatsächlich haben die meisten großen Ideen einen belächelnten Anfang. Irritation ist der siamesische Zwilling der Innovation so wie Heiljucken Anzeichen des Gesundens von Wunden ist.
Bertrand Piccard spricht sicher auch dem eingangs erwähnten exzentrischen Mathematiker Cédrik Villani aus der Seele:
„Ich suche mir immer Leute, die mir sagen:
Was du machst, ist total bescheuert. Denk noch mal nach.
So kommen gute Ideen zustande.“
Dieser Blog wurde in leicht verkürzter Form als Hernstein-Blog „Fehler sei Dank“ veröffentlicht.
Einen Blog mit verwandten Gedanken von mir: „Souverän 2.0 agieren – auch bei Fehler und Pannen“
Über: Monika Herbstrith-Lappe
Geschäftsführende Unternehmerin von Impuls & Wirkung – Herbstrith Management Consulting GmbH, High Performance Coach, Keynote Speaker, Top Trainerin, Certified Management Consultant, Autorin von Büchern und Fachartikeln
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