Ich wurde von Christoph Wirl, Herausgeber vom Magazin TRAiNiNG gebeten, einen Artikel zum Thema „Attraktivität als Arbeitgeber“ zu schreiben. Mein Beitrag: „Freude am Schaffen statt weniger Arbeit“ für mehr Lebensqualität – nicht nur in der Freizeit, sondern auch in den beruflichen Lebenszeit. Denn selbst, wenn man innerlich gekündigt hat, beeindruckt das die Zellen unseres Körpers wenig: Sie teilen sich einfach weiter. Ob wir wollen oder nicht, es gilt unumstößlich:

Arbeitszeit = Lebenszeit.

Es ist ja auch verständlich: Viele junge Menschen haben erlebt, dass Ihre Eltern ständig unter Stress gestanden sind und das Familienleben unter der Arbeitslast gelitten hat. Jetzt schlägt das Pendel in die andere Richtung aus: Viele wollen mehr Freizeit und weniger arbeiten. Gotthold Ephraim Lessing hat auch gemeint: „Das Vergnügen ist so nötig als die Arbeit.“ Doch was wäre, wenn mehr Freude ins Leben kommt, indem private UND berufliche Lebenszeit freudvoll sind?

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Welt im Umbruch

Vieles in unserer Welt ist im Umbruch von geopolitischen Verwerfungen über Digitalisierung bis Logistikketten. Der Arbeitsmarkt erfährt gerade einen besonders radikalen Umbruch: War es viele Jahre so, dass viele Bewerber um einen Arbeitsplatz gewetteifert haben, ist es jetzt in vielen Bereichen so, dass die Unternehmen als möglichst attraktive Arbeitgeber um die Fachkräfte buhlen. Employer Branding boomt. Doch die gesamte Organisation muss erfüllen, was man in Marketing und Kommunikation Bewerbern verspricht. Fassadenlösungen verpuffen oder stellen sich als Schuss ins eigene Knie heraus: Wenn Erwartungen nicht erfüllt werden, führt dies zu schmerzlichen Enttäuschungen. Mit der abnehmenden Loyalität der Mitarbeiter gegenüber den Unternehmen und den attraktiven Alternativen am Arbeitsmarkt führt dies unweigerlich zu Kündigungen. In Zeiten von kununu & Co spricht sich das auch rasch herum und erschwert das Recruiting.

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Berufliche Lebensqualität

Die Kognitive Neurolinguistik geht Begriffen bzgl. der darunterliegenden gesellschaftlichen Annahmen auf den Grund. So kommt im Begriff „Work-Life-Balance“ zum Ausdruck, dass Arbeit außerhalb des eigentlichen Lebens betrachtet wird. Die reichen Griechen und Römer konnten es sich leisten, ihr Leben zu leben und dem Müßiggang zu frönen, während die Sklaven arbeiten mussten. Ein Bekannter sagt daher „Work-Privat-Balance“. Das drückt wiederum aus, dass wir erwerbstätige Arbeit ganz anders bewerten als die vielen unbezahlten Arbeitsleistungen von den Care-Tätigkeiten bis zur Gartenarbeit in der Freizeit. Rein biologisch ist natürlich Arbeitszeit Lebenszeit und es ist für unseren Körper irrelevant, ob wir für Arbeit bezahlt werden oder nicht. Ich spreche daher von Life-in-Balance und meine damit eine Ausgewogenheit zwischen beruflichen und privaten Lebensbereichen sowie zwischen Freude am Schaffen und am Auftanken. Lebensqualität ist nicht nur in der Freizeit relevant, sondern auch beruflich. So appellierte schon Konfuzius: „Wähle einen Beruf, den du liebst und du wirst nie wieder arbeiten müssen.“ Übrigens: „Amateurhaft“ leitet sich von amare d.h. lieben ab. Unsere Gesellschaft braucht ganz dringend, dass wir professionell und amateurhaft nicht mehr als Gegensatz sehen, sondern wieder miteinander verbinden. So singt Mary Poppins:

“In every job that must be done,
there is an element of fun.
Find this element of fun
and it becomes a game.”

Playful leadership fördert, dass sich Mitarbeiter ein Spielfeld mit guter Balance zwischen Spielregeln und Spielräumen schaffen können, um diese beruflichen Freuden bestmöglich wahrzunehmen. Räumliches Wohlfühl-Ambiente bietet dazu den Rahmen der beruflichen Lebensqualität, die Kreativität und Schaffenskraft fördert.

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Gemeinsamer Sinn

Meine Zusammenfassung von Motivation aus evolutionspsychologischer Sicht:

„Menschen wollen gemeinsam Sinnvolles schaffen.“

Unser Hirn ist darauf programmiert, das Überleben der Sippe in der Savanne zu sichern. Wir Homo Sapiens haben uns gegenüber den anderen Arten der Hominini durchgesetzt, weil wir aufgrund unserer Sprachfähigkeiten ein Bild von einer besseren Zukunft teilen konnten. Das ist die Motivationsquelle für gemeinsames Schaffen. Purpose driven organizations sind daher in hohem Maße hirngerecht. Im Alltag kann die Sinnorientierung sprachlich einfach umgesetzt werden. „Das ist wichtig, weil …“, „Wir machen das für …“, „Wir haben uns entschieden, um zu …“ etc. Zugehörigkeit zu einer beruflichen Sinngemeinschaft, in der es auch Freundschaft mit Einzelnen gibt, hat allergrößten Einfluss nicht nur auf die Zufriedenheit, sondern auch auf Leistungsstärke und Gesundheit der Menschen. Sympathische Kollegen und Teamspirit sind entscheidend für das Bleiben, das Verhalten der direkten Führungskraft in kritischen Situationen der häufigste Grund für das Verlassen des Unternehmens.

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Passung zwischen Aufgaben und Begabungen

IKIGAI ist eine japanische Sinn-Philosophie und bedeutet sinngemäß „Das, wofür es sich zu leben lohnt.“ Menschen, die ihr Ikigai gefunden haben und an den Sinn ihres Lebens glauben, haben signifikant höhere Lebenserwartung. Das Herzstück bildet diese Grafik rechts bzw. unten:

Unternehmen sind gefordert, möglichst hohe Deckung zwischen Können und Vorlieben der Mitarbeitenden sowie Wert und Sinn der Arbeitsleistungen aus Unternehmenssicht zu erzielen. Immer mehr spricht sich der Grundsatz im Recruiting herum: „Hire characters and train skills.“

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Aufblühen im Flow

Ist es Ihnen z.B. schon einmal aufgefallen, dass es PROblem heißt und nicht CONTRAblem? Die griechischen Sprachwurzeln bedeuten „Zur Lösung vorgelegt“. Und genau dafür ist unser Gehirn gebaut: PRObleme zu lösen und daraus die gute Erfahrung der Selbstwirksamkeit zu gewinnen: „Ich habe das geschafft.“ Die Positive Psychologie spricht von „Aufblühen“ oder „Flourishing“. Wenn wir Schwieriges bewältigen, gewinnen wir an Zuversicht, dass wir auch zukünftige Herausforderungen schaffen werden. Dieses gesunde Selbstvertrauen ist die wirkmächtigste Säule von Stressresistenz und Resilienz. Unser Gehirn liebt Herausforderungen, die einerseits lohnend und andererseits bewältigbar sind. Mihály Csíkszentmihályi hat das Flow-Prinzip beschrieben: Wenn Anforderungen zu den Fähigkeiten passen, können wir in beglückendem Flow versinken. Flow ist die gesunde Dosis von Stress, die uns Leistungspotentiale entfalten lässt.

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Freude am Schaffen

Die deutsche Sprache bringt es wunderbar auf den Punkt: Wenn wir Aufgaben, die zu unseren Begabungen passen, in Hingabe erfüllen, wird das Werk uns glücken und uns beglücken. Besonders spannend ist die Mehrdeutigkeit des Begriffs „schaffen“: „Ich schaffe.“ steht für „Ich mache.“ oder „Ich arbeite.“ Es drückt aber auch das Gelingen „ich schaffe es“ oder „ich habe es geschafft“ aus. Und wenn ich ein „Werk geschaffen“ habe, werde ich „rechtschaffen“ müde sein. Ich erlebe die Genugtuung, genug getan zu haben. Wir brauchen wieder mehr Handwerkermentalität mit „Werkstolz“, der positiven Identifikation mit den Resultaten unseres Schaffens. Der deutsche Philosoph Hellmut Walters resümiert auch: „Krank werden wir, weil wir so viel arbeiten und so wenig Aufgaben haben.“ Meine Lieblingsfragen für Mitarbeitergespräche sind daher: „Was macht dein berufliches Engagement wertvoll?“, „Welchen Nutzen bewirkst du?“, „Was trägst du direkt oder indirekt zum Unternehmenserfolg bei?“ Spiele haben sogar Suchtpotential, weil wir über den Score erkennen können, wie wir immer besser werden. Das brauchen wir auch beruflich. Ich empfehle, vom Applaus für Schauspieler zu lernen, den gemeinsamen Erfolg zu feiern und dabei die Beiträge der Einzelnen zu würdigen.

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In gekürzter Version ist dieser Artikel im Magazin TRAiNiNG Oktober 2023 erschienen.

 

Über: Monika Herbstrith-Lappe

Geschäftsführende Unternehmerin von Impuls & Wirkung – Herbstrith Management Consulting GmbH, High Performance Coach, Keynote Speaker, Top Trainerin, Certified Management Consultant, Autorin von Büchern und Fachartikeln