Dialogische Führung baut auf aufrecht-aufrichtige Beziehungen. Die Komplexität und Dynamik unseres Umfelds kann es sich nicht mehr erlauben, die wertvollen Erfhrungsschätze und Kompetenzen der MitarbeiterInnen brach liegen zu lassen. Die Aufgabe der Führungskraft besteht darin, diese unterschiedlichen Expertisen auf gemeinsame Erfolge zu fokussieren.

Welche Idee steckt hinter dem dialogischen Fürhren?

Kaiser Josef der 2. hat noch gemeint, er brauche keine Beamten, die mitdenken sondern nur solche, die die Pflicht erfüllen. Die Mentalität „Frag‘ nicht lange, mach!“ spiegelt sich auch in der Bezeichnung „Unselbständige Beschäftigte“ wieder, die auch heutzutage gar nicht so unüblich ist. Offensichtlich werden MitarbeiterInnen zu BefehlsempfängerInnen degradiert. Übrigens CEO bezeichnet auch Chief Executive Officer d.h. einen Ausführenden und nicht einen Entrepreneur sprich unternehmerisch Agierenden. Das hat den große Nachteile: Das kreative Potential  der MitarbeiterInnen kommt nicht zum Einsatz. Direktive Führung, die sich aus den Führungsprinzipien des Heeres ableitet, braucht sehr viel Expertise der Führungskräfte. Die Haltung „Der/die beste Fach-ExpertIn wird Führungskraft“ hat zur Folge, dass Vorgesetzte bewusst oder unbewusst dafür sorgen, dass MitarbeiterInnen „klein“ bleiben, weil sie sonst zu bedrohlich werden. Zweitklassige Führungskräfte sorgen dafür, dass MitarbeiterInnen drittklassig bleiben. Macht durch Angst und schlechtes Gewissen erleichtert direktive Führung. Erstklassige Führungskräfte freuen sich, ein erstklassiges Team dialogisch führen zu dürfen. Ein Dirigent, der jedes Instrument am besten spielen wollte, könnte maximal ein mittelklassiges Orchester aufbauen.

Ich habe daher das Konzept der Mentalen Orthopädie® entwickelt: Orthopädie bedeutet wörtlich die Lehre des Aufrichtens. Und während sich medizinische Orthopäden mit der Wirbelsäule, dem Stand und den Gang befassen, geht es mir um das Entfalten des Rückgrats. Es braucht Standfestigkeit, um eigene Standpunkte zu vertreten und auf Standpunkte anderer einzugehen. Social Skills sind erforderlich, um Menschen in Richtung gemeinsamer Ziele zu bewegen. Menschen aufzurichten für aufrecht-aufrichtige Beziehungen auf Augenhöhe, ist die Voraussetzung für dialogische Führung. Dialogische Führung braucht eine Vertrauenskultur – geprägt von gegenseitiger Wertschätzung. Meine beiden zentralen Führungsthesen:

Führen heißt Ausgleich zu schaffen zwischen gemeinsamen Zielen und individuellen Bedürfnissen.

Und:

Dialogische Führung bündelt die unterschiedlichen Stärken Einzelner auf gemeinsame Erfolge.

Wertschätzender Umgang mit Unterschiedlichkeit ist Voraussetzung, dass TEAM für Together Everybody Achieves More stehen kann!

Übrigens das Wort Gehorsam geht auf eine Benediktinerregel zurück, dass Äbte verpflichtet sind, ihren Mönchen Gehör zu schenken. Und umgekehrt. In Entscheidungsprozesse werden die Novizen mit ihren frischen Sichtweisen  gehört und die Erfahrungsschätze der Älteren genutzt.  Wertschätzendes Miteinander der Generationen ist hier gelebtes dialogisches Prinzip.

Warum braucht es in der heutigen Zeit dafür ein Bewusstsein?

Der Druck steigt. Auf immer weniger Schultern lastet immer mehr. Es gibt kaum noch Nischen, in denen Mittelmäßigkeit reicht. High Performance kann es sich nicht leisten, auf individuelle Stärken zu verzichten.

Das was derzeit in unserer Gesellschaft und Wirtschaft herrscht, heißt unter uns TaucherInnen „Waschmaschine“. Vor jedem Tauchgang gibt es ein Briefing, d.h. es wird eine gemeinsam Orientierung geschaffen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für dialogische Führung mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung. Wenn da vor „Waschmaschine“ gewarnt wird, bedeutet dies, dass starke Strömungen plötzlich auftreten oder die Richtung ändern können. Besonders gefährlich wird es, wenn mehrere aufeinanderprallen und dann einen gefährlichen Abwärtssog erzeugen. Erfahrene TaucherInnen freuen sich über solche Tauchgänge, weil man dabei meist mit viel Großfisch belohnt wird. In unserer Wirtschaft trennt sich in dynamischen Zeiten mit einem Wandel des Wandels vom continuous zum disruptive Change auch Spreu vom Weizen. Der digitale Wandel ist für die einen bedrohlich. Die es verstehen, die Strömungen zu nutzen können umgekehrt davon profitieren. Beim Tauchen ist es klar: Es ist sinnlose Energieverschwendung, gegen Strömungen anzukämpfen. Viel klüger ist es, sich auf die Strömungen einzustellen. Je stärker sie sind, desto wichtiger ist die kluge Selbststeuerung.

Im letzten Sommer sind wir in Mexiko getaucht. Noch nie haben wir so direktiv führende Dive Guides erlebt und so viel Bürokratie zur rechtlichen Absicherung erlebt. Das kann im Zweifelsfall sehr gefährlich werden. Einerseits sind in extremster Weise Normalsituationen abgesichert. Und andererseits hatten mittauchende unerfahrene Tauchgäste keine Chance bei Unvorhersehbarem eigenverantwortlich zu agieren. Sie waren im Gegensatz zu den allermeisten anderen Tauchbasen, die wir erlebt haben, nicht verpflichtet, einen eigenen Tauchcomputer zu nutzen, um Tauchzeit und -tiefe selbst zu steuern. Sie wurden in völliger Abhängigkeit vom Dive Guide gehalten, da nur dieser mit dem Equipment zum Steuern ausgestattet war. Bei Pannen ist dann die Gefahr groß, dass sie in Panik geraten. Weil Angst ein mächtiger Impulsgeber und ein schlechter Ratgeber ist, lernt man bei guten Ausbildungen Strategien zum Umgang mit Gefahrensituationen. Ich nennen es Entkatastrophisieren von kritischen Situationen. Hilfreich ist dabei, zunächst einmal tief durchzuatmen und sich Überblick zu verschaffen. Statt sich auf das zu fixieren, was nicht geht, gilt es die Aufmerksamkeit auf das zu fokussieren, was man stattdessen machen kann. Das setzt jedoch Kreativität voraus, die unter Stress neurobiologisch deaktiviert ist. In meiner Familie herrscht daher der Grundsatz: „Irgendwann finden wir es lustig, dann lachen wir doch gleich darüber.“ Der hat sich auch bewährt, als wir 1 ½ Stunden auf der Oberfläche getrieben sind bis uns das Boot wiedergefunden hat. Die Frage „Was kann schlimmstenfalls passieren?“ hat dabei auch entkatastrophisierend gewirkt, denn schlimmstenfalls wäre es Nacht geworden und wir hätten uns mit unseren starken Lampen, die wir bei uns hatten leicht sichtbar machen können.

Dialogische Führung stärkt die Eigenwirksamkeit. Das braucht eine klare Kommunikation und verbindliche Entscheidungen – unter und ober Wasser. Als Führungskraft kann man das z.B. fördern, indem man bei auftretenden Problemen die Beteiligten fragt: „Was können Sie zur Problemlösung beitragen und wie kann ich als Führungskraft Sie dabei unterstützen?“ Ist Ihnen übrigens schon aufgefallen, dass es PROblem und nicht CONTRAblem heißt? Die Bezeichnung geht auf griechische Sprachwurzeln zurück und bedeutet sinngemäß: „Zur Lösung vorgelegt.“ So wie Muskeln am Widerstand wachsen, sorgt dialogische Führung dafür, dass MitarbeiterInnen am Meistern von Herausforderungen sich weiterentwickeln.

Wann ist dialogisches Führen gut, wann eher weniger?

Unser dynamisches Umfeld braucht Wendigkeit. Die kann man nur mit dialogischer Führung erzielen. Was ich als Taucherin mit „Waschmaschine“ bezeichnet habe, heißt für unsere Gesellschaft und Wirtschaft VUCA-Welt. Sie ist gekennzeichnet durch eine ausgeprägte Volatilität, d.h. immer extremere Schwankungen, die Vorhersagen immer schwieriger machen, ein hohes Maß an Ungewissheit und Unsicherheit, zunehmende Komplexität (Complexity) und Ambiguitäten, d.h. Mehrdeutig- und Widersprüchlichkeiten. Dafür ist direktive Führung ungeeignet. Starre Strukturen sind viel zu träge und brechen in den Strömungen der Wirtschaft. Auch die zunehmende Komplexität braucht die dialogische Zusammenarbeit und Führung von ExpertInnen zu unterschiedlichen Teilaspekten.

Eine sinnvolle Anwendung direktiver Führung bleibt: Überall dort, wo unmittelbare Gefahr herrscht, wie z.B. Feuerwehr im Einsatz sind eindeutige Befehlsketten unerlässlich.

Diese Gedanken habe ich anlässlich eines Interviews mit Frau Claudia Dabringer für einen Artikel in der Presse zusammengefasst. Er ist am 23.2.2018 unter dem Titel „Im Gespräch bleiben“ erschienen.

Über: Monika Herbstrith-Lappe

Geschäftsführende Unternehmerin von Impuls & Wirkung – Herbstrith Management Consulting GmbH, High Performance Coach, Keynote Speaker, Top Trainerin, Certified Management Consultant, Autorin von Büchern und Fachartikeln